Manchmal weiss das Herz früher Bescheid als der Verstand.
Gerade in der Weihnachtszeit denken wir oft an grosse Gesten, besondere Pläne oder bedeutende Geschenke. Doch manchmal sind es die kleinen, unscheinbaren Impulse – ein Anruf, eine Gewohnheit, eine leise Entscheidung für Menschlichkeit –, die ein Leben verändern.
Die nachfolgende Geschichte erinnert uns daran, warum es wichtig ist, auf unser Herz zu hören. 💖 Nicht alles, was zählt, muss logisch sein. Manches muss einfach nur menschlich sein.
Der wichtigste Anruf ist manchmal eine falsche Nummer
Quelle: Grace Jenkins
Jeden Dienstag um 15 Uhr rief meine Mutter dieselbe falsche Nummer an. Sechs Jahre lang.
„Hallo, hier ist Susan. Ist Robert da?“
Jedes Mal dieselbe Antwort: „Hier gibt es keinen Robert. Falsche Nummer.“
„Oh, es tut mir leid, Sie gestört zu haben.“
Dann legte sie auf – und stellte sich eine Erinnerung für den nächsten Dienstag.
Ich dachte zuerst an Demenz. Meine Mutter war 71. Vielleicht hatte sie einfach vergessen, dass sie diese Nummer schon unzählige Male angerufen hatte.
„Mama, das ist nicht Roberts Nummer. Du hast sie sicher schon dreihundert Mal gewählt. Warum rufst du immer wieder an?“
Sie sah mich seltsam an. „Ich weiss, dass es nicht Roberts Nummer ist.“
„Warum dann?“
„Weil jemand abnimmt.“
Wie sich herausstellte, war die Frau am anderen Ende 83 Jahre alt.
Sie lebte allein. Litt unter starker sozialer Angst. Verliess ihre Wohnung nie. Keine Familie. Keine Freunde.
„Vor sechs Jahren habe ich aus Versehen die alte Nummer deines Bruders gewählt“, erklärte meine Mutter. „Eine Frau nahm ab. Wir redeten zwei Minuten. Als ich mich für den falschen Anruf entschuldigte, sagte sie: ‚Bitte rufen Sie trotzdem wieder an. Niemand ruft mich je an.‘“
„Und du hast dann einfach … weiter angerufen?“
„Jeden Dienstag. Genau zwölf Minuten. Über nichts. Das Wetter. Fernsehsendungen. Ihre Katze. Dann sage ich, ich müsse gehen, und sie sagt: okay.“
„Sechs Jahre lang?“
„Sechs Jahre.“
„Weiss sie, dass du absichtlich anrufst?“
„Natürlich. Ich bin nicht besonders subtil. Aber wir halten die Fiktion aufrecht. Ich rufe ‚aus Versehen‘ an. Sie ‚nimmt zufällig‘ ab. Wir tun so, als sei es Zufall – nicht Entscheidung.“
„Warum dieses Schauspiel?“
„Weil es schwer ist, Hilfe anzunehmen. Aber eine falsche Nummer anzunehmen, ist leicht.“
Das Handy meiner Mutter vibrierte. Dienstag. 15 Uhr.
Sie wählte die Nummer. „Hallo, hier ist Susan. Ist Robert da?“
Eine Pause. Dann Lachen. „Kein Robert hier, Susan. Aber ich bin da. Wie war deine Woche?“
Sie sprachen. Über das Wetter. Eine Fernsehsendung. Den Tierarzttermin der Katze. Genau zwölf Minuten. „Ich sollte dich gehen lassen.“
„Okay, Susan. Gleiche Zeit nächste Woche?“
„Oh, ich bin mir sicher, dass ich diese Nummer wieder versehentlich wählen werde.“ Wieder Lachen. Abschied.
Meine Mutter starb letztes Jahr. Plötzlich. Herzinfarkt. Ich fand Dorothys Nummer in ihrem Telefon und rief an.
„Hallo?“
„Hallo, mein Name ist Sarah. Ich bin Susans Tochter. Ich glaube … ich glaube, Sie haben heute ihren Anruf erwartet.“ Stille. Dann Weinen.
„Sie ist tot, nicht wahr?“
„Ja. Es tut mir so leid.“
„Darf ich Sie etwas fragen?“
„Natürlich.“
„Hat sie Ihnen je gesagt, warum sie wirklich angerufen hat?“
„Sie sagte, Sie bräuchten jemanden, der anruft.“
„Das hat sie Ihnen gesagt. Aber ich rufe an, um Ihnen zu sagen, warum ich abgenommen habe. Die Stimme Ihrer Mutter an den Dienstagen war das Einzige, was mich am Leben gehalten hat. Viermal hatte ich die Tabletten bereit. An vier verschiedenen Dienstagen. Und jedes Mal, um 15 Uhr, rief sie an. Und nachdem ich ihre Stimme gehört hatte, konnte ich es nicht tun.“
Ich rufe Dorothy nun seit neun Monaten jeden Dienstag an. Zur gleichen Zeit. Mit derselben „falsche Nummer“-Fiktion. Denn meine Mutter hat mich eines gelehrt:
Manchmal ist der wichtigste Anruf, den man tätigt, derjenige, der bei der falschen Person landet.
Absichtlich.
Jeden Dienstag.
So lange, wie jemand abnimmt.


